Tag 8 meiner ersten Blogtour.
Es geht um den spannenden Psychothriller "Die
Sprache des Schmerzes" von Leonie Haubrich.
Hier findet ihr meine Rezension:
Außerdem gibt es eine exklusive Leseprobe nach dem
Konzept Seite 99.
Nun fragt ihr euch bestimmt, was es mit dem Konzept auf
sich hat?
Laut dem britischen Autor Ford Madox Ford sollte der
Leser die Seite 99 lesen, denn da ist man mitten im Geschehen. Ist diese Seite
spannend und unterhaltsam, will ich mehr zu dem Gelesenen wissen. Ist dagegen
die Seite 99 langweilig, werden mich auch die anderen Seiten nicht
interessieren.
Genauer wird es hier beschrieben:
Beim nächsten Buchkauf werde ich es mal austesten.
Hier kommt nun die Leseprobe:
Kapitel 14
Liz
»Diesmal ohne Hund?«, fragte er.
Liz drehte sich um. Der Schlüssel fiel mit einem Scheppern
auf eine der Steinfliesen vor dem Hütteneingang. Irgendetwas an seiner
Stimmlage hatte sich verändert. Er klang angespannt und gereizt. Anders als
sonst. Und es war ein Zittern in seiner Stimme, das sie vorher nie bemerkt
hatte. Ihr Verstand warnte sie, vorsichtig zu sein. Sie kannte den Mann nicht.
Und er schien konkret auf sie neben der Hütte hinter dem Holzstapel gewartet zu
haben. Warum hatte er sich nicht auf einen der Stühle vor der Hütte gesetzt?
Sie blickte sich um. Keine andere Menschenseele war in der Nähe.
»Ja, ohne Hund«, sagte sie.
»Und wo ist er?«
»Nicht da.«
Er lachte. Und sie stimmte in das Lachen ein. Mit einem
Mal war es wieder wie bei den vorherigen Begegnungen auch, er klang locker,
gelöst. Sie fragte sich, ob sie sich eben die Veränderung nur eingebildet
hatte, ob es durch den Schreck seines plötzlichen Auftauchens bedingt war.
»Gesprächig sind Sie ja nicht gerade. Wobei – wir kennen
unsere Vornamen und Siezen uns. Sie haben einen Hund und wissen nicht, wo er
ist. Ich sollte weitergehen und bleibe stehen. Bei uns passt einiges nicht
zusammen.« »Wenigstens das Siezen können wir schnell ändern.« »Lisa. Ein
schöner Name. Meine Güte, jetzt hört es sich an, als wollte ich blöde
Komplimente machen. Keine Sorge, ich hör sofort wieder damit auf.« Sie bückte
sich und zog den Schlüssel aus der Ritze hervor, in der er sich zwischen den
einzelnen Terrassensteinen verklemmt hatte. Nun war nicht nur das Schloss
vereist, sondern zusätzlich der Schlüssel verbogen. Und sie wusste nicht
einmal, ob Vanessa einen Ersatzschlüssel besaß oder ob das der einzige war. Wie
befürchtet, ließ sich der Schlüssel nun überhaupt nicht mehr verwenden. Auch
mit Druck glitt er nur rund zwei Millimeter in den Schließzylinder. Liz
fluchte.
»Darf ich?« Thomas kam näher.
Sanft schob er sie zur Seite, nahm ihr den Schlüssel aus
der Hand.
»Daran, dass das Metall völlig verbogen ist, kannst du
auch nichts ändern«, sagte sie.
»Sind wir nicht alle verbogen und kaputt?« Eine solche
Trauer sprach aus ihm, sein Körper schien in sich zusammenzusacken und zu
schrumpfen, als zöge er sich zusammen, auf einen einzigen Punkt, klein wie ein
Staubkorn, damit niemand ihn verletzen oder angreifen konnte.
Sie schwieg. Es gab Sätze, auf die konnte man nicht
antworten und sollte es besser gar nicht versuchen. Früher glaubte sie, ihre
Sprachlosigkeit und ihr Schweigen wären ein Zeichen von Schwäche, aber das
stimmte nicht. Nichts zeugte mehr von Hilflosigkeit, als jederzeit eine
Entgegnung parat zu haben. »Es wird schon, Kopf hoch, so schlimm ist es doch
nicht« oder was immer für Hoffnungsreden – das bewies nur die eigene
Unfähigkeit, etwas anderes als einen schönen Schein zu ertragen.
Sie glaubte nicht, dass er etwas erreichen konnte,
überließ ihm aber trotzdem den Schlüssel, weil sie merkte, wie ihn das Tun
ablenkte. Er konzentrierte sich vollständig auf die geschlossene Tür. Dann
löste er den Schlüssel vom Bund, steckte ihn in eine der Ritzen zwischen den
Steinen, bog ihn gerade. Aus seiner Hosentasche holte er ein Feuerzeug.
»So ist es eben, wenn es nachts so kalt wird«, sagte er.
»Bei der hohen Luftfeuchtigkeit ist es kein Wunder, dass alles vereist.« Er
hielt das Feuer an das Metall von Schloss und Schlüssel, dann glitt der
Schlüssel mit einem Ruck in den Schließzylinder. Die Tür sprang mit einem
Quietschen auf.
»So, da hätten wir es«, sagte er.
»Willst du reinkommen?«
»Ist das etwa eine Einladung?«
»Ich habe sogar Rotwein da. Und Käse. Der Wein ist noch
zu kalt zum Trinken, aber wir können ja warten, bis er wärmer wird. Nur bitte
die Schuhe ausziehen. Es ist schon schwer genug, den Matsch, die Steine und die
Nässe draußen zu halten.« »Tja.« Er öffnete seine Schnürsenkel. »So ist das
Leben hier. Kalt, matschig und einsam. Wobei das noch die Luxusversion ist.«
»Im Vergleich zu was?«, fragte sie und wandte sich ab. Es erklärte sich von
selbst. Niemand zog sich ohne Not hierher zurück, verzichtete auf den Komfort
von festen Mauern zugunsten von dünnen Holzwänden, wenn es eine Alternative
gab. Auch sie hatte aktuell keine andere Wahl, aber darüber wollte sie nicht
reden, nicht darüber, dass sie Christopher nicht ertrug. Schon die heutige
Begegnung am Mittag in der Fußgängerzone war zu viel gewesen. Es hatte nur ein
paar Minuten gebraucht und sie waren wieder in Streit geraten, diesmal wegen
der Beiläufigkeit, mit der sie ihm von dem freilaufenden Hund erzählt hatte. Er
hatte gemeint, man müsse den Tierschutz anrufen, das Tierheim, die Polizei
sogar, weil so ein Hund auch immer eine Gefahr bedeutete. Man müsse Fallen
aufstellen oder das Tier jagen und erschießen, wenn es nicht anders ginge.
Hundebisse. Tollwutübertragung. Das Reißen von jungem Wild. Er hatte eine
Horrorvision nach der anderen produziert.
Sie schob die Erinnerung beiseite. Es war wie verflucht.
Immer wieder drängten sich Gedanken an Christopher auf, so sehr sie auch
versuchte, ihm zu entkommen.
»Alles okay?«, fragte Thomas. Er schaltete mit einer
Selbstverständlichkeit den Gasbrenner an, als hätte er nie etwas anderes getan:
Er öffnete den Hahn, ließ dann das Gas vorströmen, zündete die Flamme und hielt
den Knopf vollständig geöffnet, bevor er die Gasstärke minderte. Er schaffte,
was ihr erst im vierten oder fünften Versuch gelang. Die Schwierigkeit war,
genau die richtige Dauer zu erwischen. Wer am Anfang zu wenig Gas in die
Leitung einließ, verhinderte ein Zünden. Wer zu viel herausließ, riskierte eine
Stichflamme. Wer am Ende das Gas zu früh zurück regelte, ließ damit die Flamme
wieder erlöschen. Jede dieser Varianten war ihr schon mehrmals passiert.
»Klar. Alles okay«, sagte sie.
»Das ist gelogen.«
»Ist es. Aber ich will nicht darüber reden.« Sein Blick
blieb auf ihrer Uhr ruhen. Ein Geschenk von Christopher zum Hochzeitstag mit
goldenem Armband. »Die war teuer.« Sie nickte. Das war sie wohl, auch wenn sie
nicht wusste, wie viel die Uhr gekostet haben mochte. Doch was immer man
Christopher vorwerfen konnte: Geizig war er nicht. Er gab und teilte alles, was
er hatte.
»Du hast sie noch nicht verkauft?«, fragte Thomas. »Dafür
könntest du dir zwei Wochen lang das beste Hotelzimmer leisten.« »Ich will kein
Hotel.« »Warum?« Sie schüttelte den Kopf. Das eine war die Theorie. Praktisch
gesehen ertrug sie es nicht. So sehr sie wusste, dass sie nicht fliehen konnte,
dass sie irgendwann eine Entscheidung wegen ihrer Beziehung zu Christopher
treffen musste, dass sie die Stelle als Gutachterin ab- oder zusagen musste –
hier in der Unwirtlichkeit in der Nähe des Waldes war der einzige Ort, den sie
kannte, an dem sie all ihre Probleme wenigstens kurzfristig vergessen konnte.
Alles Müssen, das Grübeln, diese Zerrissenheit zwischen Vergangenheit und
Zukunft waren weg, wenn sie abends auf der Couch lag, dick eingewickelt in
mehrere Kleidungsschichten und in den Schlafsack, wenn sie draußen den Wind
hörte, den Regen und die raschelnden Blätter, wenn die Waldluft durch die
Ritzen im Holz hereinkam und es um sie herum nach Moos zu duften begann. Das
war ihr ganz persönliches Wunderland, in dem sie sorglos wie eine Waldfee leben
konnte, zumindest kurzfristig. Diese Momente gab es in der Hütte immer wieder,
in denen das Denken aufhörte. Und es hörte sonst nirgends auf als an eben
diesem Ort. Es waren nur ein paar Minuten, die aber unendlich viel waren im
Vergleich zu der scheinbaren Ewigkeit, die sich bei dem To-do des Alltags
ausbreitete.
»Ich muss manchmal einfach weg. Von allem«, sagte sie.
»Das ist meine persönliche Insel.« »Wenn es die nur gäbe.« Er half ihr, die
Flasche zu entkorken, schenkte ihr und sich ein und stellte die Gläser mit dem
Rotwein näher an den Ofen. Dann setzte er sich wieder neben sie.
»Ich war einmal Buchhändler«, begann er und stockte.
Auch sie lehnte sich zurück.
»Einiges ist passiert«, sagte er. »Ich war in der Klapse.
Dass ich da mal landen würde, hätte ich mir früher nicht vorstellen können. Psychiatrie
nennt sich das, gibt sich den Anschein von Wissenschaftlichkeit und ist doch
nichts anderes als die Irrenanstalten vor hundert Jahren. Alles Fachleute, so
nennen sie sich. Lächerlich. Die haben nicht die geringste Ahnung.« In dem
folgenden Schweigen kamen Liz ihr eigener Atem und ihr Herzschlag, so laut wie
ein Dröhnen, das jeden Moment die Hütte von innen sprengen konnte. Sie sah ihn
an. Er wusste anscheinend wirklich nicht, wer sie war. Dass sie ihm weder Name
noch Beruf genannt hatte, war nur einem diffusen Gefühl geschuldet gewesen. Und
das hatte sie nicht getäuscht.
»Du kannst mit mir reden«, sagte sie.
»Da gibt es nicht viel zu reden. Kaputt ist kaputt. In
meiner Buchhandlung ist inzwischen ein Gummibärenladen. Freunde und Bekannte?
Habe ich nicht. Und irgendwie kann ich es nachvollziehen, dass sie mit mir
nichts zu tun haben wollen. Wenn man einmal einen Stempel drauf hat, gilt nur
noch der Stempel, nicht die Realität dahinter. Wie bei einer Milchpackung im
Supermarkt, da käme auch niemand auf die Idee, den Aufdruck mit der
Mindesthaltbarkeit infrage zu stellen. Stempel können doch nicht täuschen,
oder?« Sie schwieg und wartete darauf, dass er weiterredete, was er nicht tat.
So schnitt sie den Gouda in Stücke, nahm die Gläser vom Ofen weg. Thomas störte
sich nicht an der Einseitigkeit des Abendessens, im Gegenteil. Seine Schultern
entspannten sich und auch seine Gesichtszüge. Er trank den Wein so schnell, als
wäre es Saft oder Limonade. Bald rötete sich seine Gesichtshaut. Doch er
gehörte nicht zu den Menschen, die durch Alkohol gesprächiger wurden,
stattdessen wurde sein Blick abwesend und er sackte körperlich mehr in sich
zusammen.
»Alles okay?«, fragte sie ihn.
»Ich bin das nicht gewohnt. Den Alkohol, meine ich.
Vielleicht liegt es auch an den Pillen, wer weiß, wie lange der ganze Mist im
Blut …« Er hielt inne und horchte.
Es war erst nur ein leichtes Kratzen und Schaben an der
Tür, dann ein Jaulen. Irgendwo in der Ferne war ein Motorengeräusch zu hören,
das sich näherte.
»Stört es dich, wenn der Hund …«, begann sie.
Ruckartig richtete er sich auf. »Ich muss.« Er trank den
Rest seines Weines in einem Zug aus, nahm die Jacke und verließ die Hütte.
Gleichzeitig drängte sich der Hund an ihm vorbei ins Innere.
Liz stellte ihren Teller für den Hund auf den Boden,
damit er ihren übrig gebliebenen Käse fressen konnte. Schnell ging sie zur Tür,
um sie wieder zu schließen. Sie wollte Thomas noch einen Abschiedsgruß
nachrufen, doch er war nicht mehr zu sehen.
Auch als sie in die Schuhe schlüpfte und ein paar
Schritte hervortrat über die Steinterrasse aufs Gras, blieb Thomas
verschwunden. Es war, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Der Hund begann zu
jaulen, dann verkroch er sich unter der Couch.
Auf geht's zur Schnitzeljagd
ach, nee
hier seid ihr am Ende der Schnitzeljagd angekommen.
Herzlichen
Glückwunsch!!!
Zu gewinnen gibt es auch etwas 😊
Schickt eure Lösung per Mail bis Sonntag, den 08.04.18
(23:59 Uhr)
Ich drücke euch die Daumen!
Hallo liebe Angélique!
AntwortenLöschenDas Konzept der Seite 99 war mir bislang wirklich noch nicht bekannt, aber es klingt doch sehr interessant ... und wie es der Zufall so will, habe ich noch einige Bücher hier liegen ;) Die Seite 99 ist vor mir also nicht mehr sicher! Vielen Dank für diesen Anstoß und natürlich auch für den tollen Leseeinblick!
Liebe Grüße,
deine Nina
Hallo Nina, wenn ich mir mein nächstes Buch aussuche, werde ich dieses Konzept ausprobieren. Schön, dass dir mein Post gefallen hat.
LöschenLG Angélique
Mich muss schon der Klappentext überzeugen, damit fahre ich meist auch ganz gut, aber einen Versuch die 99. Seite eines Buches zu lesen, wenn mir der Klappentext nicht gefällt, werde ich mal wagen. ;o)
AntwortenLöschenDa gebe ich dir Recht, erst müssen mich Cover und Klappentext neugierig machen. Und wenn ich nun die Seite 99 lese, kann ich entscheiden, ob mir auch der Schreibstil und die Umsetzung der Geschichte gefällt. Ich finde es spannend, dieses Konzept mal auszuprobieren.
LöschenDas Konzept war mir nicht bekannt.
AntwortenLöschenAber ich liebe Cover und entscheide mich zu 95% danach. Dann erst den Klappentext . Natürlich muss das Genre passen.
Liebe Grüsse Daniela
Hallo Daniela,
Löschendas Konzept war mir vor dieser Blogtour auch nicht bekannt. Aber ich probiere gerne mal neue Dinge aus und werde es bei meinem nächsten Bücherkauf anwenden.
LG Angéllique