Hallo liebe Maria,
du bist zum 3. Mal auf der Shortlist zum Goldenen Homer und
ich freue mich, dass ich im Zuge dessen, dein Buch "Verrat in Colonia"
lesen durfte. Nun habe ich noch ein paar Fragen an dich, schön, dass du sie mir
beantwortet hast:
Hat sich dein Autorenalltag durch Corona verändert?
Der Schreiballtag selbst hat
sich bei mir dadurch wenig verändert, da Schreiben ja ohnehin eine eher einsame
Beschäftigung im stillen Kämmerchen ist. Allerdings machten es mir die Monate
des Homeschooling schwieriger, Zeit zum konzentrierten Arbeiten zu finden, da
meine kleine Tochter dann ausschließlich zu Hause für die Schule lernte. Was
sich allerdings stark verändert hatte, war die Art der Recherche. Coronabedingt
musste ich meine Reisen zu den Schauplätzen stark konzentrieren, mich mit den
historischen Experten meist telefonisch oder online austauschen, statt
persönlich bei einer Tasse Kaffee. Und natürlich machte ich aus Infektionsschutzgründen
deutlich weniger Lesungen als zuvor.
Wie sieht ein Arbeitstag bei dir aus? Zu welcher Tageszeit schreibst du? Zu welcher Zeit kommen deine besten Einfälle? Hast du auch Wochenende oder Urlaub? Oder schreibst du immer?
Irgendwie arbeite ich tatsächlich
(fast) immer. Wenn ich nicht buchstäblich in die Tasten haue, kritzele ich
Ideen auf ein Stück Papier, denke über Plots und Figuren nach. Oder ich
recherchiere zu den unterschiedlichsten historischen Themen. Irgendwie schaffe
ich es nur selten, irgendetwas zu tun, ohne dass meine Gedanken früher oder
später wieder zu irgendwelchen Romanprojekten abschweifen. Am kreativsten sind
für mich die Morgenstunden. Da bin ich frisch, energiegeladen und voller Ideen.
Aber auch am Abend habe ich meist sehr produktive Phasen. Urlaub gönne ich mir
nur selten, wobei ich eine große, bunte Familie habe, die mich zeitlich sehr
beansprucht und für die ich immer da sein möchte. Doch gibt es einen Tag im
Jahr, den ich mir tatsächlich komplett freihalte, meinen „Boxing Day“, den 26.
Dezember, (den traditionellen Urlaubstag des Dienstpersonals in der britischen
Welt). Da schicke ich den Rest meiner quirligen und lauten Familie auf
Verwandtenbesuch und gönne mir einen Tag, an dem ich wirklich überhaupt keine
Verpflichtungen habe, noch nicht einmal Kochen.
Hast du Schreibrituale/-routinen?
Schreibrituale im
engeren Sinne habe ich nicht. Jedes Buch ist irgendwie anders und möchte auf seine
eigene Art angegangen werden. Keine Ahnung wieso. Wie gesagt, arbeite ich am
allerliebsten in den frühen Morgen- oder späten Abendstunden, ganz alleine,
ohne irgendwelche Geräusche um mich herum, mit einer Tasse Kaffee in der Hand
und einem schönen Roman an meiner Seite, von dem ich mir in meinen eigenen Schreibpausen
dann ein Kapitel gönne. Das ist meine persönliche Idealvorstellung. In der
Realität sieht es aber oft anders aus, da reichen die wenigen wirklich ruhigen
Stunden am Tag nicht aus. Also schreibe ich auch, wenn ich meine Tochter zum
Sport oder zur Musikschule bringe und im Auto auf sie warte. Oder höre laute
Musik über Kopfhörer, um mich an unruhigen Nachmittagen von der Außenwelt
abzuschirmen und meine Muse dazu zu zwingen, Ideen auszuspucken. Alles was
hilft, den Schreibfluss in Gang zu halten, ist mir willkommen.
Bei Wikipedia habe ich gelesen, dass du seit deiner Kindheit schreibst und auch verschiedene Genres ausprobiert hast. Heute schreibst du im historischen Bereich, fühlst du dich hier am wohlsten? Kannst du dir vorstellen auch mal einen Roman in der Gegenwart zu schreiben?
Ja, absolut. Am liebsten im
Bereich Krimi. Das würde mir Spaß machen.
Was fasziniert dich denn an dem 3. Jahrhundert? Und wie recherchierst du dazu?
Mich fasziniert die Römerzeit
allgemein, die gallorömische Welt im Speziellen, also die Verschmelzung
keltischer Kultur und Tradition mit der römischen, wie es besonders in der
Moselregion der Fall war. Daher spielen meine Invita-Romane auch vorwiegend an
Mosel, Saar und Rhein, in der Welt meiner Vorfahren sozusagen. Das dritte
Jahrhundert ist nur eine der vielen spannenden Epochen, eine Phase der
politischen Umbrüche und Umwälzungen. Römische Kaiser, die auf kriegerische
Art, mit der Unterstützung ihrer Armeen an die Macht kamen, römische
Statthalter mit wechselhaften Loyalitäten. Und nicht zuletzt Alemannen und
Franken, die damals Rhein und Limes überschritten, römische Siedlungen und
Gehöfte überfielen.
Die historische Recherche
empfinde ich immer als ganz besonders zentral. Am Anfang eines neuen Projektes
stöbere ich meist erstmal im Internet, suche die wichtigsten historischen Daten
zusammen. Dann sichte ich die Literatur, kaufe oder leihe Fachbücher, spreche
mit Historikern und erarbeite auch die Mentalität der Menschen dieser Zeit.
Anschließend entwickele ich die Handlung und besuche die Originalschauplätze,
suche Sekundärliteratur, aber – falls vorhanden - auch Originalquellen in
Archiven, befasse mich mit historischen Inschriften und ihrer Deutung und lese
auch Briefe und Beschreibungen von Zeitzeugen. Jedes noch so kleine Detail muss
stimmen, bis hin zur Farbe der Stoffe, dem Muster der Mosaike, Wandbemalungen,
Speisen, Traditionen... und natürlich alle Orte, Städte und Straßen, die ich
beschreibe. Dazu mache ich – wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht - mehrere
Recherchereisen, verbringe viel Zeit in Museen und im Gespräch mit Experten. Auch
während des Schreibens konsultiere ich immer wieder Historiker, lasse verschiedene
Kapitel, meist aber das gesamte Manuskript noch einmal von ihnen überprüfen.
Wenn du deine Geschichte schreibst, fühlst du dich ins 3. Jahrhundert ein? Kannst du dir vorstellen, selbst in dieser Zeit zu leben?
Um Himmels Willen nein! Um
nichts in der Welt würde ich die gute medizinische Versorgung, den Rechtsstaat
und die Demokratie unserer heutigen Zeit gegen irgendeine frühere Epoche
eintauschen. So spannend ich die Römerzeit – und andere Jahrhunderte der
Vergangenheit – auch finde, mehr als eine kurze Zeitreise zwecks Recherche,
würde ich dorthin nie machen wollen.
Dennoch bin ich geistig und
emotional sehr wohl in den Epochen zuhause, über die ich schreibe. Meist recherchiere
ich sehr lange und sehr intensiv über die Zeit, auch darüber, wie die Menschen
damals dachten und fühlten. Bevor mein erster Römerroman auf den Markt kam
hatte ich mich zuvor fast zwanzig Jahre mit der Römerzeit befasst, an der Uni
Alte Geschichte und Klassische Archäologie belegt, in der Schule Latein gelernt
und später selbst unterrichtet – bis mir die damalige Weltsicht, ihre
Denkweisen, Alltag und Politik quasi in Fleisch und Blut übergegangen waren.
Ich finde es spannend, dass du eine Sklavin zur Hauptperson und Ermittlerin gemacht hast? Wie bist du darauf gekommen?
Das war irgendwie Zufall, eine
spontane Idee, geboren aus einem dieser mysteriösen Inspirationsschübe, die man
als Autor zwar kennt, aber nur schlecht erklären kann. Bereits als Teenager
hatte ich mich an einem Römerroman versucht, der zur Zeit der römischen
Republik angesiedelt war. Nach meiner Rückkehr aus den USA, wo ich Journalismus
studiert hatte, schrieb ich den Rohentwurf eines Buches, das zur Zeit des Kaisers
Septimius Severus, also im 2. Jahrhundert n. Chr. angesiedelt war. Das Thema
Sklaverei spielte dabei zwar auch immer eine gewisse Rolle, doch nie hatte ich
es gewagt, eine Sklavin zur weiblichen Hauptfigur zu machen. Doch plötzlich war
da Invita in meinem Kopf, diese vorlaute Sklavin, die sich aufgrund ihrer
Neugierde und Begeisterung für verbotene Schriftrollen stets in Schwierigkeiten
bringt... und diese Figur hat mich bis heute nicht losgelassen.
Ist das Ermitteln der Sklavin Invita deine dichterische Freiheit oder meinst du, sie hätte wirklich zu dieser Zeit ermitteln können?
Wer meine Bücher kennt, weiß,
dass ich mir so etwas wie dichterische Freiheiten nie erlauben würde. Meine
Romanhandlungen basieren stets entweder auf tatsächlichen historischen
Ereignissen oder darauf, wie es, nach allem, was wir durch die archäologische
und historische Forschung wissen, gewesen sein könnte. Das gilt natürlich auch
für die Figuren in meinen Büchern. Tatsächlich gab es in der Römerzeit sehr
viele hochgebildete Sklaven, die durchaus darüber im Bilde waren, was im
Haushalt oder auch in der Politik vor sich ging. Viele Politiker hielten sich
sehr bewusst Sklaven und Freigelassene als Berater. Zudem kann eine Sklavin wie
Invita auch in solchen Milieus unbemerkt Nachforschungen anstellen, in denen
ein hochrangiger römischer Bürger gleich Misstrauen erregt hätte, zum Beispiel
der Gesindeküche oder den Heizräumen. Allerdings begibt sich eine Sklavin wie Invita
durch ihre Neugierde auch in größere Gefahr, da sie sehr oft, ohne die
Zustimmung – oder das Wissen - ihres Herren agiert.
Als du den ersten Teil geschrieben hast, hattest du schon die anderen Geschichten im Kopf? Wieviele Teile sind angedacht?
Von Anfang an war mir klar,
dass die Geschichte um Invita der erste Band einer Serie sein würde. Ich
persönlich liebe Romanserien, da man darin immer wieder auf alte Bekannte
trifft und eine umfangreiches Geschichte mit vielen ineinander verwobenen Fäden
entwickelt werden kann, während zugleich jeweils ein Teil der Handlung, ein
bestimmtes Thema, mit jedem Band zentral beleuchtet und auch abgeschlossen
werden darf. Die Invita-Reihe ist auf sechs Bände angelegt, wobei die Bände mit
ungeraden Nummern, also 1,3 und 5 eher gesellschaftliche oder auch
philosophische Themen, die geraden Bände, also 2,4 und 6 eher eine politische,
bisweilen auch militärische Thematik aufweisen.
Ich bin seit Kindertagen eine Leseratte und mein Geschmack hat sich immer mal wieder geändert. Ist es bei dir auch so. Welchen Genre liest du aktuell am liebsten? Welches Buch ist dein Currently Reading?
Ja, das kenne ich auch.
Geschmäcker ändern sich, gerade mit dem Lebensalter und den eigenen
Lebenserfahrungen, die man so gemacht hat. Doch irgendwie mochte ich immer
gerne historische Themen und Science Fiction, (seltsame Mischung, ich weiß).
Später kam dann auch noch die Kriminalliteratur hinzu, die mich im historischen
Kontext ebenso fasziniert wie in der Jetztzeit.
Tatsächlich ist mein
bevorzugtes Romangenre auch die historische Kriminalliteratur, aber
grundsätzlich lese ich alles querbeet. Solange die Sprache etwas in mir, als
Leserin, zum Klingen bringt, Handlung und Figuren überzeugen, ist es mir
beinahe gleichgültig, ob das Buch auf dem Mond oder in der Antike angesiedelt
ist, in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft spielt.
Gerade lese ich aber wieder
verschiedene historische Krimreihen.
2018 hast du ja den "Goldenen Homer" gewonnen. Darüber warst du bestimmt richtig glücklich. Was hast du gedacht als du dieses Jahr wieder auf der Shortlist gekommen bist?
Tatsächlich kam ich mit „Verrat
in Colonia“ bereits zum dritten Mal auf die Shortlist für den Goldenen Homer –
zuvor 2015 mit „Die Küste der Freiheit“, einem Roman über deutsche Auswanderer,
Mennoniten und Soldaten während der Amerikanischen Revolution und dann 2018 mit
„Die Festung am Rhein“, die letztendlich auch mit dem Preis ausgezeichnet
wurde. Jedes einzelne Mal habe ich mich über alle Maßen darüber gefreut. Es ist
mir eine ganz besondere Ehre, für einen Preis nominiert zu sein, bei dem der
historische Aspekt der Handlung eine ebenso große Bedeutung hat, wie Spannung,
Dramaturgie, Figuren und Sprache. Das zeigt mir, dass sich all die Mühen der jahrelangen
Recherche ausgezahlt haben, es mir gelungen ist, meine Leserinnen und Leser in
eine versunkene Vergangenheit mitzunehmen.
Danke liebe Maria, für deine Zeit und deine interessanten
Antworten. Für den 1. Oktober 2022 in Ingolstadt drücke ich dir beide
Daumen.
(Die Fotos wurden mir von der Autorin zur Verfügung gestellt.)
Dies ist der vierte Fall mit der Sklavin Invita:
Hier habe ich eine Liste mit Links der Interviews von den
anderen Autoren auf der Shortlist:
30. Juli 2022 – Ullas Leseecke interviewt Petra Schier
30. Juli 2022 – Carmens Bücherkabinett interviewt Mac P.
Lorne
6. August 2022 – Frau Goethe liest interviewt Johanna von
Wild
6. August 2022 – Buchtempel interviewt Silke Böschen
13. August 2022 – Lesebuch interviewt René Anour
20. August 2022 – Bücherheike interviewt Birgit Hermann
20. August 2022 – Das Bücherhaus interviewt Marco Hasenkopf
27.
August 2022 – Angeliques Leseecke interviewt Maria W. Peter
27.
August 2022 – Svanvithe interviewt Juliane Stadler
3. September 2022 – Nicht ohne Buch interviewt Ana Pawlik
3. September 2022 – Kunterbunte
Bücherreisen interviewt Ulf Schiewe
Die Termine der Lesungen findet ihr hier:
Petra Schier: https://youtu.be/AXTgJzRDiyA
Mac P.
Lorne: https://youtu.be/44oLsScAFWQ
Johanna von Wild: https://youtu.be/k4LjD8k7OgU
Silke Böschen: https://youtu.be/6WD4-0vko-Q
René Anour: https://youtu.be/EYlRJr3OpbE
René Anour: https://youtu.be/r6KUcsablsI
Birgit
Hermann: https://youtu.be/AOgqRYxMcig
Marco Hasenkopf: https://youtu.be/GmJMGhliLZA
Maria W. Peter: https://youtu.be/if7ftaIGJTo
Juliane Stadler: https://youtu.be/jsex4AXWCB8
Ulf Schiewe: https://youtu.be/rEtSgDXgDCE
Ana Pawlik: https://youtu.be/4S3M1wZKDDc
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